Griechische Sommerbilder

 

Sappho

 

So wurde die Insel Lesbos zur Insel der Sängerin Sappho. Wie der Sänger Orpheus war Sappho erfüllt von einer Liebe zum Unerreichbaren, welche die Grenzen des Ich  überflutet und nur durch das Lied noch  eine Form finden kann.

 

        „Geschüttelt hat Eros mir die Sinne,

         wie ein Wind vom Berg herab in die Eichen fällt.

         Und wieder mich Eros, der gliederlösende, beugt und biegt,

         das süßbittere, rettungslose Untier.“

 

         (Sappho, Texte, 137 D. Die Übersetzungen der Gedichte sind

         entnommen aus Diwald, Große Ereignisse I. Text oben: S. 216)

 

Obwohl die Nähe der Unsterblichen so schwer zu ertragen ist, liebte Sappho nur diejenigen, welche ihr unsterblich erschienen. Immer ließ sie den Geliebten in ihren Versen  zum Unsterblichen werden  für alle Zeit.

 

....Mir aber, ach, erschreckte

dies im Busen wahrlich das Herz; denn schau ich

flüchtig nur hinüber zu dir, versagt mir

völlig die Stimme,

 

und mir ist die Zunge gelähmt, ein feines

Feuer unterläuft mir die Haut urplötzlich:

mit den Augen sehe ich nichts, ein Dröhnen

füllt mir die Ohren,

 

und der Schweiß rinnt nieder, und meinen ganzen

Leib befällt ein Zittern, und bleicher bin ich

als das Gras, und nahe bereits dem Tode

schein ich......

 

(Sappho, Texte, 2D. Diwald, S. 222)

 

 

 

Den Göttern nahe sein aber heißt, ihre Unerreichbarkeit spüren. Den Göttern nahe sein, heißt leiden:

 

        „Schon flüchtet Selene, die reine,

         schon taucht ihr unter, Plejaden,

         die Nacht und die Stunde laden:

         ich ruhe noch immer alleine.“

 

        (Sappho, Texte, 5. Buch 94 b. Diwald, S. 230)

 

Was bleibt, ist  Sehnsucht, welche keine Erfüllung kennt:

 

       „Oh Traum über nachtdunkles Land

          schreitest du leisen Schrittes,

        Wenn Schlummer umfängt Augen und Sinn

          allen. die schlafen können.

        Willkommener Gott, wahrlich die Qual

          zeigst du mir nur zu deutlich!

        Daß fern voneinander geschieden ist

          die Kraft den Seligen und den Menschen.

        Doch Hoffnung hält mich, daß mir zuteil nicht werde

          das Schlimmste, und wieder

        Erhoff ich für mich nichts

          von der Seligen Leben, daß mir's werde.“

 

        (Sappho, Texte, 4. Buch, 67 b. Diwald, S. 230)

 

Die Liebe, welche die Sängerin Sappho zum Geliebten empfindet und besingt, ist Gottesdienst. Es ist das Verlangen, des eigenen Leibes, der eigenen Schönheit, des eigenen Ichs nicht achtend, vom Gott alles zu fordern, dem Gott alles zu sein: Nähe und Ferne, Licht und Dämmerung, Himmel, Erde und Meer.

 

So ist es folgerichtig, daß die Legende erzählt, Sappho habe sich, nachdem sie ihre nie erfüllte Sehnsucht in all ihre Lieder gegossen, von einem hoch aufragenden Felsen hinabgestürzt   ins still schimmernde, ins wild schäumende,  ins nachtdunkel gleißende,  in der Ferne sich für immer verlierende Meer.

 

Ca. eineinhalb Jahrtausende später haben die Priester des fremden, Gottes alle ihnen verfügbaren Lieder der hellenischen Sängerin  verbrannt.

Was uns von ihrem Werk, welches zu seiner Zeit dem Sänger Homer an die Seite gestellt wurde, geblieben ist, sind wenige Reste.

 

Weiterhin aber gibt es Menschen, welche, kommen sie zur Dichterinsel Lesbos, den Gott  und seine Sängerin spüren. Einer von diesen schreibt:

 

„Der Rundblick vom knapp tausend Meter hohen Berg Olymp auf Lesbos schafft sich seine eigenen Empfindungen. Die Sonne steht fast immer unbeirrbar über der sanften Wölbung des Meeres, sie schärft die Konturen, aber ihr fehlt die Härte der afrikanischen Nachbarschaft, die für die südlicheren Breiten charakteristisch ist. Wenn der Wind sich zu einer Brise entschließt und leise die Oberfläche der See zerknittert, lösen sich sogar die sinnlosen Belästigungen der Stirne auf. Am Horizont verfließt der Himmel in Azur und Amethyst, legt die Barrieren zwischen den Tatsachen und der Imagination nieder, verwandelt den Raum in königlichen Glanz. Ein innigeres Durchdringen von Licht und Wasser, Äther und Leben läßt sich kaum denken. Wenn irgendwo, dann besitzt auf Lesbos das Klima eine Melodie, werden die Elemente zu Klang und Gesang, öffnen sich hin zur Grazie, gehen in den Rhythmus der Sprache ein und verwandeln sie zum Medium einer atemberaubenden Kraft der Empfindung.“

(Diwald, Große Ereignisse, I, S. 213)

 

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