Griechische Sommerbilder

 

M e n s c h e n

 

Wie die Wälder und die Tiere sind auch die Menschen gegangen, welche  so lange Zeit in Hellas ihre Heimat hatten und welche wir im Geheimen noch immer in Griechenland suchen. Kinderarmut und ein selbstzerstörerischer Bruderkrieg haben die Kraft der  blonden Hellenen für immer gebrochen. Andere leben heute in Griechenland. Diese anderen aber fühlen sich mit den Hellenen verbunden und sprechen weiterhin deren Sprache.

 

Juwelenhändler

 

Seit vor rund dreieinhalb Jahrtausenden die stattliche Insel Thera durch einen gewaltigen Vulkanausbruch buchstäblich in die Luft geschleudert worden ist, besteht jene, heute Santorin geheißen, nur noch aus den zweimal unterbrochenen Kraterrändern des einstigen Vulkans. Diese umschließen ringförmig die eingeströmten, Caldera genannten Wasser, in deren Mitte der Gipfel des noch immer rauchenden Vulkans über die Oberfläche ragt. Auf dem schwarzen Gestein des Kraterrandes, von Weitem wie eine helle Schaumkrone anzusehen, liegt der Ort, welcher nun den einstigen Namen der Insel trägt, Thera. Wegen des schmalen, jäh zur Caldera hin abfallenden Geländes  sind die kleinen weißen Behausungen  durch Treppen, Treppchen, Gänge und Bögen zu einem verwirrenden Labyrinth miteinander verbunden.

 

Die Insel lebt wie alle griechischen Inseln vornehmlich vom Tourismus. Thera hat als zusätzliche Einnahmequelle noch den Schmuckhandel und lockt von weit her seine Käufer. So ist eine der steilen, engen, für Tatenlose so verführerischen Gassen von Thera allein dem Juwelenhandel vorbehalten. Die Zahl der Geschäfte soll 68 betragen.

 

Mit Anbruch des späten Nachmittags, wenn tief unterhalb des Ortes die Alt - Thera überdeckenden Wasser stählern aufzuglänzen beginnen,  öffnen die Schmuckgeschäfte ihre bis dahin verschlossenen Türen. Die Juweliere, sämtliche Landessprachen der hier täglich  Vorbeitreibenden beherrschend, haben kaum Mühe, ihre  Etablissements alsbald mit Kundinnen zu füllen.

„Schöne Frau“, schmeichelt ein gepflegt gekleideter Dunkeläugiger  eine ebenfalls erlesen gekleidete dunkeläugige, trotz ihrer Jahre tatsächlich noch als schön zu bezeichnende Person in seinen Laden hinein.

 

„Was darf ich für Sie tun? Es steht alles zu Ihren Diensten.“

Der Grieche spricht ein akzentfreies Deutsch.

Die Dame wendet sich einem mit zierlich geschliffenen Brillianten dicht besetzten Kollier zu, in welches ein von etwas größeren Brillianten gesondert eingefaßter Rubin eingearbeitet ist.

„Legen Sie es an!“

Auch  der Schmuckhändler ist nicht mehr jung. Das schwarze Haar ist an den Schläfen ergraut. Die  treuherzig blickenden Augen in seinem bäuerlichen Gesicht sind bereits umgeben von den Spuren der Zeit.

 

Er nennt sich, dem Ladenschild zufolge, „Jack, the Greek“.

„Es gibt keine Frau“, eröffnet er seine Werbung, „und sei sie noch so schön, welche nicht durch den zu ihr passenden Schmuck noch schöner werden könnte. Die Steine kommen aus den Tiefen der Erde.  Sie sind unvergänglich. Sie haben etwas von dem, was wir „Ewigkeit“ nennen.“

Von den scheuen, Berührungen vermeidenden Hilfeleistungen des Griechen unterstützt, legt die Dame das Kollier an und schaut in den bereitgehaltenen Spiegel. Das bunt - helle Blitzen der Brillianten und das tiefe Funkeln des Rubins entzündet in ihren Augen einen  Widerschein.

 

„Ich liebe Steine,“ sagt sie. „Steine ermutigen mich zu dem Traum, ich könnte ihnen gleich werden.“

Zur offenen Tür strömt das Gold des Himmels herein und, als wolle es die Geschmückte noch zusätzlich verschönen, bricht es sich, tausendfach aufstrahlend, in den fein geschliffenen Steinen.

„Sie träumen nicht,“ sagt Jack. „Sie sind dem Steine ähnlich. Sie haben das, was sich jede Frau wünscht. Es ist das geheime Etwas, welches nicht vergeht mit dem Weiterschreiten der Zeit.

Einst trugen nur die Bilder der unsterblichen Götter den Schmuck der Steine. Heute können auch die Sterblichen wie Götter   erscheinen.

 

Hier habe ich noch den zum Kollier passenden Ring.“

Auch der Ring war über und über mit Brillianten besetzt, welche einen leuchtenden Rubin umgaben.

Die  Augen des Juwelenhändlers strahlen nun den Steinen gleich.

„Ich glaube, mehr als andere von meinem Geschäft zu verstehen, da ich die Goldschmiedekunst und die Steinverarbeitung  von Grund auf gelernt habe.“

 

Er öffnet seinen Tresor und breitet auf einer Samtunterlage weitere Schätze vor der Staunenden aus.

„Ich verstehe auch etwas von meiner Kundschaft“, fährt er wie beiläufig fort.

„Die Damen aus den USA, welche aus den Kreuzfahrtschiffen täglich hier heraufgespült werden, kaufen völlig ohne Verstand. Juden sind als Käufer sehr unangenehm. Sie kommen nur, um zu handeln. Die liebsten Kunden sind mir die Deutschen. Sie haben durchweg Anstand und Geschmack.“

„Was soll das Kollier kosten?“ fragt die Dame.

 

„Es ist nicht leicht, im Zusammenhang mit dem Schönen über Preise zu reden, liebe Frau. Gerade dieser Rubin hat durch seinen außergewöhnlichen Schliff und durch seine erlesene Verarbeitung einen unendlichen, mit Geld eigentlich nicht zu bezahlenden Wert. Ich könnte mich eventuell entschließen, das Stück für nur 25 000,- DM abzugeben..... Ach, könnte ich es wirklich? Es bedeutete für mich einen herben Verlust. Soll ich mir, dem Schönen zuliebe, einen Verlust  leisten?“

„Aber der Verlust wäre doch wohl noch nicht gleichbedeutend mit ihrem Ruin?“ Die Dame, noch immer mit dem tief  leuchtenden Stein angetan, lächelt.

„Nein, nicht ganz“, der Händler lächelt ebenfalls.

 

„Wenn Sie sich auch noch für den  Ring entschließen könnten, kämen nur noch ganze 5ooo,-DM hinzu.“

Irgendwo im Umkreis der Steine, erfüllt vom schräg hereinströmenden Sonnenlicht, treffen sich Jacks Augen mit denen seiner Kundin.

„Ich werde nachdenken“, sagt diese  schließlich leise und löst mit feinen Bewegungen den blitzenden Schmuck von ihrem Halse.

„Vielleicht komme ich zurück.“

Auch, nachdem die schöne Kundin wie schwebend das Geschäft verlassen hat, ist das Leuchten in den dunkeln, von den ersten Anzeichen des Älterwerdens umgebenen Augen des griechischen Juweliers noch nicht erloschen. Mit ruhigen Bewegungen ordnet er die ausgebreiteten Stücke wieder ein. Sanft streicht er über die  Steine des Kolliers, bevor er es zurücklegt in sein Behältnis neben den in gleicher Weise gearbeiteten Ring.

 

Taxifahrer

 

Ein Deutscher, schon etwas füllig, schon etwas grau, läßt sich mit einem Taxi quer durch Kreta fahren. Der Fahrer ist ein junger, schwarzlockiger Inselbewohner, welcher sein Fahrzeug wegen des nur selten unterbrochenen Rauchens einarmig handhabt, dennoch aber in einer, angesichts der kurvenreichen Inselstraßen  beklemmenden Geschwindigkeit.

 

Die muskulösen Arme des Griechen sind von dunklem Haar bedeckt, ebenso die aus dem halboffenen weißen Hemd sichtbare, mit einem goldenen Kreuz geschmückte Brust. Wie fast jede Tätigkeit wird die Reise begleitet von den gleichförmigen Klängen der trotzig - melancholischen griechischen Musik. Fahrer und Fahrgast schweigen. Was spricht, ist das Land, das kahl - braune, steinige, vom himmlischen Glühen verzehrte Land.

 

Ca. alle 500 Meter steht entweder  neben der Straße oder an einem von dieser gut sichtbaren Berghang eine gewaltige, auf Stahlgerüsten befestigte Tafel. In grellen, selbst widerstrebende Blicke zwingend auf sich ziehenden Farben werden den vorbeifahrenden Landeskindern und Gästen die Vorzüge transatlantischer Erzeugnisse vor Augen gestellt. „Coca Cola“, „Marlborogh“, „Test the West“. Geistige Getränke locken mit „Just take it“ oder sie bestimmen einfach: „You must“.

Immer wieder zeigen sich mitten im Steinigen weiß - lockende, von üppigem Grün umgebene Hotelanlagen.

 

„Was soll die aufdringliche US - Reklame? Wozu all die Luxus - Hotels in dieser Einöde?“ bricht der Deutsche das Schweigen.

In den Blick des Griechen tritt eine unvermutete Schärfe.

„Wir brauchen den Aufschwung. Von Weintrauben, Öl und Ziegenkäse kann unser Volk nicht existieren. Denken Sie an die Millionen Griechen, welche fern der Heimat leben, aus Not.“

„Was ist das für ein Aufschwung“, antwortet zögernd der Deutsche, „sich  all diese Etablissements von Fremden ins Land stellen lassen und sich dazu noch  zu erniedrigen zum Umschlagplatz für ausländische Waren? Haben die Griechen sich dafür mit so vielen Opfern von den Türken befreit?“

„Viele von uns halten die USA für ein Zwischending zwischen Schutzgeist und Glücksklee. Und nicht wenige glauben  überdies, sie müßten sich wie Cowboys aufführen, um den Touristen zu gefallen.

 

Diejenigen aber von uns, die denken können, wissen es: Die Befreiung von den Türken hat uns bisher nichts weiter als die  Fürsorge von anderen zweifelhaften „Freunden“ eingebracht. Zur Zeit sind diese „Freunde“ die USA. Was aber soll unser kleines Volk tun gegen all die fürsorglichen Großen? Was sollen wir ausrichten gegen eine Supermacht, die sich derzeit aufführt, als müßten sie von nun an für ewig die Welt regieren? Wo in unserer Umgebung glimmt nur ein kleiner Funken Widerstand, welcher uns ermutigen könnte?“

 

Kräftiger noch umfaßt der Fahrer das Steuer mit seiner Linken und nimmt die nächste Kurve, ohne  die Geschwindigkeit  zu senken. Sein weißes durch keinerlei US - Aufschrift geschmücktes Hemd verliert in dem trotz offenem Fenster sich verrichtenden Zigarettenrauch zunehmend an Farbe.

„An wen sollen wir uns halten?“ wiederholt der Grieche düster, „Etwa an die Deutschen?“

Er schweigt. Der Deutsche schweigt ebenfalls. Die Fahrt ist nun dergestalt beschleunigt, daß die Einzelheiten der begleitenden Farbtafeln nicht mehr auszumachen sind, daß sie im farblosen Einerlei des Landes wie Schemen  auftauchen, um sogleich wieder zu verschwinden.

„Nein, nicht an die Deutschen,“ antwortet schließlich der Herr.

„Noch sind die Deutschen in der Umarmung unserer gemeinsamen „Freunde“ zu keiner für andere ermutigenden Bewegung fähig. Noch.“

Der Herr spricht so leise, als hätte er ein Geheimnis verraten, als hätte er etwas Verbotenes gesagt. Da der Grieche nicht mehr antwortet, wird es nicht deutlich, ob dieser die Worte verstanden hat.

 

Busunternehmer

 

Die einzelnen Ortschaften der griechischen Inseln sind durch Busverkehr Miteinander verbunden. Die Autobusse, grün - beige gestrichene Mercedeswagen, im Inneren noch immer mit deutschsprachigen Anweisungen wie z.B. „Bitte nicht mit dem Fahrer sprechen“ versehen, verkehren häufig und sind in der Touristenzeit immer voll besetzt.

 

Auf einer der  Inseln  befindet sich das Transportunternehmen in privater Hand. Der Besitzer des einzigen Inselbusses, ein  untersetzter Mann mit abweisenden Gesichtszügen, beginnt mit Anbruch des Tages seine Tätigkeit, um sie am Abend erst lange nach Einfall der Dunkelheit zu beenden. Unzählige Male fährt er auf  staubigen Straßen über steinige Bergesrücken zwischen den Ortschaften der Insel hin und her. Tag für Tag bewältigt er viele Male die nach unseren Begriffen für einen  Autobus viel zu engen Steilkurven, in welchen die Straße sich zu einem Kloster hinauf windet. Tag für Tag geht er dabei immer wieder mit unbewegten Mienen über laut geäußerte   Befürchtungen  seiner Fahrgäste  hinweg, der Bus könne über die Stützmauern der Straße  kippen und den Steilhang hinunter stürzen.

 

Direkt hinter ihm, mit einer schwarzledernen Schaffnertasche versehen, sitzt seine dunkelgekleidete Gattin. Mit Würde verläßt sie nach jeder Haltestelle ihren Platz, um von den neu Dazugestiegenen das Fahrgeld einzufordern. Die verschiedenartigen Fahrscheine sind auf einer kleinen Holzplatte  befestigt. Nach dem Abtrennen werden sie mit einem Locher entwertet. Für die gezahlten Münzen gibt es Röhrchen von unterschiedlicher Größe. Für  Geldscheine ist ein Extrafach in der schwarzen Tasche vorgesehen. Willig leisten die vielen fremden Fahrgäste ihren Tribut, die Älteren vielleicht mit Bildern von Zahlungsgebräuchen aus ihrer verlorenen Jugend vor Augen. Wenn zu manchen Zeiten die Fahrgäste sich so dicht im Inneren des Busses drängen, daß die Türen nicht mehr geschlossen werden können, kommt der ca. 14 - jährige Sohn der Familie zu Hilfe. Er ist es dann, welcher sich, die schwarze Tasche umgehängt, von Fahrgast zu Fahrgast zwängt, seine Scheu vor den Fremden immer wieder neu überwindend, jeden einzelnen  in unbeholfenem Englisch nach seinem Reiseziel befragt, um ihm die entsprechenden Fahrscheine auszuliefern. An manchen Tagen muß der Junge während der gesamten Betriebszeit  des Autobusses zugegen sein. Auch dann verrichtet er seine Arbeit mit tiefem Ernst in den Augen und  achtet  nicht der Anstrengung, welche ihm dabei im Gesicht geschrieben steht.

 

Sehr selten nur geschieht es, daß die Gleichförmigkeit der Tage durch Unregelmäßigkeiten  wie die folgende unterbrochen wird:

Auf einer abschüssigen, von beiden Seiten durch Steine und Dornen bedrängten Inselstraße  zeig sich ein dem Bus von unten entgegenkommendes Touristenauto nicht gewillt oder auch nicht imstande, zurückzusetzen, um dem schwerfälligeren Gefährt das Vorbeifahren zu ermöglichen. Der Busfahrer, will er den Fahrbetrieb  nicht an dieser Stelle beenden, ist gezwungen, selbst die hinter ihm ansteigende Straße bis zu einer Ausweichstelle zurückzufahren. Er tut es schweigend mit dem ihm eigenen düster - verschlossenen Gesicht. Der Personenwagen setzt nach, wird aber, als er sich direkt neben dem Bus befindet, durch Zuruf bei diesem Vorhaben unterbrochen. Der Redestrom, welcher sich nun aus dem Busfenster hinaus auf die Insassen des Touristenfahrzeuges ergießt, ist von einer solchen  Gewalt, daß nicht nur die Angeredeten, sondern auch die Fahrgäste des Redners, unabhängig davon, ob sie der Landessprache mächtig sind oder nicht, erbleichen. Man meint, seit Weltbestehen habe noch nie ein menschlicher Mund eine derartige Eruption hervorgebracht, sei  noch nie ein überschaubarer Zeitraum gefüllt gewesen mit derart zahlreichen nicht nur auf einander folgenden, sondern auch gleichzeitig hervorgestoßenen Ausrufen, Worten und Sätzen. So urplötzlich aber, wie er ausgebrochen ist, versiegt der entfesselte Strom wie von unsichtbaren Abgründen aufgenommen.  Der Personenwagen fährt von dannen. Der Busfahrer ergreift sein Steuerrad und setzt die Fahrt fort, als habe sich nichts Außergewöhnliches ereignet.

 

Fischer

 

Der gleißende Gott steht  hoch am Himmel und hat mit seinen Pfeilen schon alles ringsum zum Glühen gebracht.

Ein Fischer ist mit seinem kleinen blau - weißen Fischerboot  zum Fang ausgefahren. Gleichmütig durchzieht das Fahrzeug die Wasser des Meeres, dessen nachtdunkle Unergründlichkeit überschüttet ist von den aufblitzenden,  verlöschenden und sich an anderer Stelle  sogleich wieder neu entzündenden Funken.   Küstenorte, hell schimmernd im grau - braunen Land, ziehen  vorbei. Kahle, scharfkantige Wände  steigen auf und verlieren sich in der Höhe. Insel um Insel  kommt nahe  und entwindet sich wieder dem von der Helligkeit geblendeten Blick.

 

Der Fischer, die Züge gezeichnet von Licht und Wind, handhabt das Steuer scheinbar ohne Bewegung und hat seine  Augen zum Horizont gerichtet. Um ihn  ist das immer gleiche Motorengeräusch seines Bootes, welches sich mischt mit dem Rauschen des Meeres und  mit den allgegenwärtigen Klängen der griechischen Musik.

 

In brennendem Trotz steigen die scharfen Klänge der Bouzouki   hinauf in den Glanz des Lichtes. In nie nachlassender Sehnsuchtskraft klagen die Lieder der Griechen  in die Ferne, welche, kommt man ihr nahe, zu nichts zerrinnt,  um wieder neue Sehnsuchtslieder zu entzünden.

Die Gäste, welche an der Fahrt des Fischers teilnehmen, schweigen und wünschen, diese Reise möge nie zu Ende gehen.

 

Das Mädchen

 

 

Bewegungslos sitzt die junge Griechin an der Reling eines  Schiffes, welches unter dem heißen Atem des Gottes das dunkelfunkelnde Meer durchfährt. Ihre Hände halten das Schiffsgeländer  umschlossen, so daß die weiten Ärmel ihres Obergewandes sich im warmen Sommerwinde blähen. So hindert sie es  nicht, daß ihr halb dem Meere zugewandtes Gesicht von Schleiern ihres lang herabhängenden schwarzen Haares bedeckt wird. Es ist, als wolle sie das scheue Aufglühen nicht sichtbar werden lassen, welches die Blicke der Vorübergehenden immer wieder in ihrem jungen Antlitz entzünden. Es ist, als sei es für keinen der Umstehenden bestimmt, daß sie zuweilen ganz unmerklich lächelt.

 

Frauen

 

Die verheiratete Griechin lebt im Dienste der Familie. Sie hat weder Zeit noch Möglichkeiten, sich an Zusammenkünften und Tätigkeiten des Mannes zu beteiligen. Meist trägt sie schwarz.

Wird sie im Laufe ihres arbeitsreichen Lebens Witwe, so ist es ihr im Gegensatz zum Manne nicht gestattet, sich erneut zu verheiraten. Ihr dunkles Gewand wird zum lebenslangen Witwenkleid.

 

Wenn die Dunkelheit die weißgetünchten, blumen - und weinlaubumrankten Häuser in den engen Gassen Griechenlands einhüllt, wenn die Blütendüfte sich mischen mit den aus  Perlenvorhängen hervorströmenden Speisegerüchen und denen der hier allenthalben umherhuschenden Katzen, wenn die Männer irgendwo auf den Dorfplätzen in den Tavernen lärmen, dann kommt auch für die  griechischen Frauen die Stunde des Ruhens. All die Gassen und Gäßchen entlang sitzen sie dann einander gegenüber vor ihren Häusern, die Mütter, die Großmütter, die Greisinnen mit ihren schon erloschenen Augen. Die Strick - und Häkelarbeiten sind nicht mehr Selbstzweck, sondern sie begleiten nur den Gedankenaustausch über die Ereignisse und Empfindungen des zur Neige gegangenen Tages. Wenn ein Fremder des Weges kommt, wird das Gespräch durch ein mehrstimmiges, vielmals wiederholtes „Kali nichta, kali nichta“ mit allen Zeichen der herzlichen Freude über den Ankömmling unterbrochen.

 

Kaum können die  Frauen einander sehen in der nur vom Silber Selenes erhellten Dunkelheit. Doch sie spüren einander. Sie atmen zusammen die erlösende Kühle, die betörenden Düfte der griechischen Nacht.

 

Kind

 

Hoch in den Bergen Griechenlands, zugänglich nur durch eine vielfach gewundene, von behindernden Steinen bedeckte Straße, liegt zwischen Dornenhecken, uralten, gegen Sonne und Wind unempfindlich gewordenen Pinien und verlassenen Weinbergen ein Dorf.

 

Es ist die Mittagsstunde, die Stunde, welche die Menschen in ihre Häuser treibt, um das Atmen der Götter nicht zu stören. Das Dorf ist menschenleer. Fenster und Türen der niedrigen, dicht ineinander gedrängten Behausungen sind wie für immer verschlossen. Auf der schmalen, abschüssigen Dorfstraße ist die Pflasterung teilweise herausgerissen. Überall liegen Abfälle, wer weiß, wie lange schon. Auf dem Dorfplatz unter den dichten Blättern der Platane stehen weder Tische und Stühle. Das kleine Schaufenster des einzigen Ladens zeigt kaum Auslagen.

 

Als der Mittag sich neigt, die himmlischen Strahlen den unteren Rand der Platane erreichen und, lange Schatten werfend, den Platz in ihr goldenes Licht tauchen, öffnen sich endlich Fenster und Türen. Alte Leute, langsam, gebeugt, oft von Krankheit gezeichnet, kommen heraus, sitzen ein wenig im Licht, schauen und gehen dann wieder zurück in ihre dunklen Räume. Nur wenige haben die Kraft zu bleiben.

 

Es öffnet sich auch die Tür des kleinen Ladens. Eine junge Frau stellt einen Stuhl ins Freie und bringt anschließend ihren etwa einjährigen Jungen heraus, um ihn darauf zu setzen. Der Kleine ist ein Kind des Landes, das runde Köpfchen voller dunkler Ringellocken, die schwarzen Augen gegen die Sonne, vielleicht auch in Abwehr gegen den ungewohnten Anblick der ihn teilnehmend betrachtenden Fremden verengt. Der Kindermund ist leicht geöffnet, noch unentschieden zwischen dem Bedürfnis zu weinen und dem Stolz, dieses nicht zuzulassen. Die  Ärmel der rot - schwarz - karierten, mit Brusttasche und Knopfleiste versehenen Jacke fallen weit über die kleinen, kräftigen Fäuste, welche mit Energie und Besitzerfreude jeweils ein Stück Holz umfassen. Sein rechter Schuh fällt zu Boden. Die Mutter legt ihn mit auf den Stuhl, und das Kind nimmt  die Fußbekleidung fest zwischen seine  kurzen, von mehrmals umgeschlagenen Hosen bekleideten Beine.

 

 

 

„Wie kommt in dieses verlassene Dorf ein Kind?“ fragt die Fremde.

„Früher hatten wir viele Kinder. Jetzt haben wir nur noch dieses,“ ist die Antwort.

„Bis auf uns sind alle jungen Familien fortgezogen, an die Touristenstrände, nach Athen, ins Ausland. Auch mein Mann arbeitet anderswo in einer Taverne. Wir wohnen nur noch hier oben, weil wir hier ein Haus haben und Miete sparen können. Und jemand muß ja auch nach den alten Leuten sehen. Das Leben aber ist hier sehr, sehr schwer.“

 

Inzwischen hat der Kleine sich an das Licht gewöhnt, die Lust zu weinen ist vergessen. Die Mienen sind zugänglich geworden. Interessiert blickt er zu einer schwarz gekleideten  Frau, welche gegenüber vor ihrer Haustür Platz genommen hat. Die beiden schauen sich an, und das Kind entzündet auf dem müden Gesicht der Frau einen hellen Widerschein.

 

Heimkehr

 

Am Sommerende liegen die Strände verlassen. Hier und da finden sich noch Hinterlassenschaften von Badenden und Fischern, Cola - Dosen, ein schadhaftes, umgestürztes Boot.  -  Einer dieser vereinsamten Strände ist an beiden Enden von aufgeschüttetem Gestein  umschlossen. Hinter dem Strand steigt das dicht mit Dornengestrüpp bewachsene Land steil empor, nur durch einen schmalen Pfad zu begehen.

 

Still liegt das Meer. Sanft scheint es mit kaum merklichen Sichheben und - senken der Wasserfläche zu atmen. Wie abwesend umspielen sich die weiß, grau und blau aufschimmernden Linien und Streifen. Von fern her leuchtet und schmeichelt das wärmende Licht und umgibt das Auge mit seinem Glanz, wie, um es einzuladen, ebenfalls Licht zu werden, Wärme zu werden, ein weiß - grau - blauer in der Ferne aufstrahlender Schimmer. Es lockt das Licht den Menschen zu kommen und des Harten, des Dornigen, des Schmerzenden für immer zu vergessen. Unter dem einzigen Baum des Strandes sitzt etwas zusammengesunken, den Blick auf das vor ihr ausgebreitete Meer gerichtet, eine einsame Gestalt. Es ist eine offenbar schon ältere Frau. Freundlich antwortet sie der Fremden auf ihre Fragen, z.B., woher sie denn ihr fließendes Englisch habe.

 

„Als kleines Kind mußte ich wie so viele von uns mit meiner Familie auswandern in die USA. Es gibt ja so wenig Verdienstmöglichkeiten in unserem steinigen Land. Ich hatte keine Wahl. So habe ich mein Leben in der Fremde verbracht, mit den Fremden gelebt, einen fremden Mann geheiratet. Meine Kinder sind keine richtigen Griechen. Nun ist mein Mann verstorben, die Kinder sind selbständig geworden. Ich könnte, wenn ich wollte, in die Heimat zurückkehren. Wohin wird es mich treiben, jetzt, da mein Leben sich zu seinem Ende neigt?“

 

Auch, nachdem die neugierig Fragende sich verabschiedet hat, schaut die Frau noch lange über das  schimmernde Ägäische Meer, das kräftige, aber von Mühen gezeichnete Gesicht, das  noch dunkle, volle Haar umglänzt vom hellen Lichte der Griechen.

 

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