Griechische Sommerbilder

 

B I L D E R  V O M  E I N S T

 

Was ist alles geschehen, daß Hellas zu dem wurde, wie wir es heute vorfinden?

Betrachten wir nun  Bilder, die wie Fenster sind zu dem, was war, zu denen, die im Laufe all der Jahrhunderte hier ihren Wohnsitz nahmen und das Ihre dazu beitrugen, aus Hellas das heutige Griechenland zu machen.

 

Vor einem halben Jahrhundert kamen

 

Br i t e n  u n d  D e u t s c h e

 

Kreta, Mai 1941

 

 Manch einer der  deutschen Kretareisenden mag noch den Bildband aus dem Kriege kennen: Kreta, Sieg der Kühnsten, Vom Heldenkampf der Fallschirmjäger, herausgegeben vom Fliegergeneral Student im Jahre 1942. Der Einband ist in den Tarnfarben der Deutschen Wehrmacht gehalten. Ein eichenlaubumkränzter Adler, im Sturzflug begriffen, ein Sonnenrad in seinen Fängen, ist in die Mitte eingestanzt worden. Hält man heute solch ein Buch in der Hand, so sind die Farben des Einbands  verblaßt, der Adler  vom vielen Gebrauch abgegriffen. Da letztlich die anderen die Sieger geblieben sind, ist das Buch in Buchhandlungen nicht mehr erhältlich. Die Deutschen wagen  sich der Bilder ihres siegreichen Kampfes um die Insel Kreta nicht mehr zu erinnern. Die alten Fotos erscheinen wie verloren in den Tiefen der Zeit.

 

Am 20. Mai 1941 waren Tausende von jungen Fallschirmspringern über Kreta abgesprungen, um die Briten, welche sich nach dem Verlust des griechischen Festlandes hierher zurückgezogen hatten, auch noch von der Insel zu vertreiben. Ort und Stunde des Absprunges, so heißt es, seien verraten worden. Viele der wehrlos an den Fallschirmen Hängenden haben daher den Boden Kretas nicht mehr als Lebende berührt. Viele der im Unwegsamen Gelandeten sind von griechischen Partisanen, welche im englischen Auftrage arbeiteten, überfallen und auf außerordentlich unsoldatische Weise getötet worden.

Am folgenden Tage sollten den Fallschirmspringern von Gebirgsjägern Hilfe zukommen. Diese konnten aber nur mit Transportflugzeugen vom Festland her nach Kreta gebracht werden. Die Flugzeuge waren gezwungen, den einzigen Fluglandeplatz der Insel beim Dorfe Malemes an der Nordküste anzufliegen. Sie  landeten  mitten im feindlichen Feuer.

 

Mit der Unterschrift, “Gebirgsjäger fliegen über das Meer, fertigmachen, Kreta in Sicht“ zeigt ein Foto des erwähnten Bildbandes  das Innere eines solchen  „Ju“ genannten Transportflugzeuges. Im Vordergrund sitzen zwei Soldaten, welche der Landung entgegensehen. Der hintere von beiden hat sich soweit wie möglich  nach vorne gebeugt, um das  näher kommende Land besser überblicken zu können. Er ist nicht mehr jung. Dennoch liegt ein jungenhafter Mut  in seinem scharfen Blick, über seinen hageren Zügen. Die Hand hat er, um sich abzustützen, zur losen Faust geschlossen auf das Knie gelegt.

 

Vor ihm sitzt sein junger Kamerad,  aufrecht, die noch kindlichen Bubenaugen nicht auf das unter ihm ausgebreitete Land, sondern durch das gegenüberliegende Fenster in den heißen Himmel gerichtet. Es ist, als habe der Junge jetzt, wo es ernst wird,  die  Angst überwunden, sei aber nun verloren in einer in dieser Welt nicht mehr zu heilenden Trauer. Seine Hände, die Rechte die Linke bedeckend, liegen ausgestreckt auf dem Schoß.

 

In einem Bericht der Kretakämpfe werden die Landungen der Gebirgsjäger wie folgt beschrieben:

 

„Die Gebirgsjäger stiegen in die hitzeflirrenden Maschinen. Je sechs in zwei Reihen einander gegenüber. Die Hitze in den Maschinen betrug bis zu 60 °.

Jemand schlug die Schiebetür der vordersten Ju 52 zu. Die zwölf Männer in der Ju waren allein. Motoren brüllten auf. Die Maschinen starteten, hoben ab und schwebten der See entgegen. ....

Als die Maschinen aus dem Tiefflug emporzogen, weil südlich ein langgezogener Wall aus Felsen auftauchte, da wußten die Gebirgsjäger: das ist Kreta.

Unter den Gebirgsjägern war wieder Land. ...Dann tauchte linkerhand unter ihnen eine rötliche Fläche auf, wie ein Tennisplatz anzusehen: Malemes. Dort sollten sie landen. - „Fertigmachen!“

Mit einer Steilkurve stieß die Maschine herunter.

„Festhalten!“ brüllte einer, und dann setzten die Motoren aus. Der Boden kam näher, ein paar hüpfende Sprünge und dann ein harter Ruck.

„Raus, Mannder!“ brüllte die Stimme des Bataillonskommandeurs.

Die Schiebetür rollte zurück, eine dichte Staubwolke empfing die herausspringenden Gebirgsjäger. Und auf einmal prasselte es in den Flugzeugrumpf hinein. MG - Salven krachten, Seitenleitwerk und Rumpf der Maschine wurde von Löchern durchsteppt. Granaten krachten in den Platz hinein. Jaulend zogen andere über die Köpfe der Männer hinweg, die im Laufschritt über das Feld stürmten. Sie liefen beinahe in eine andere landende Ju 52 hinein, die eben rechts von ihnen aufsetzte und eine dunkelrote Schleppe aus Flammen hinter sich herzog. Und während das rotlodernde Phantom vorbeirollte, sprangen schon Männer aus den offenen Türen heraus, überschlugen sich, kamen wieder hoch und dann knallte die Ju 52 am Platzrande auseinander.

Die Überlebenden aber rannten, rannten, rannten. Einige erreichten den Straßendamm mit seinen Agaven- und Kakteendickichten und waren gerettet.“ (Franz Kurowski, Der Kampf um Kreta, Anixi, Griechenland, 1995,  S. 78f.)

 

Kriegsgräberstätte

 

 

 

Schwer lastet das graugleißende Licht über der Insel. Lebendes erscheint wie für immer erstorben.

Zwischen verbrannten Wiesen und durstenden Olivenhainen führt vom Dorfe Malemes aus eine schmale Straße hinauf zur der  Anhöhe, welche, in deutschen Wehrmachtsberichten als Höhe 107 bezeichnet, einst Schauplatz der erbittertsten Gefechte  gewesen war. Hier befindet sich  der Soldatenfriedhof Malemes, Ruhestätte für die  auf Kreta gefallenen Deutschen.

 

 

 

 

Das weite, von zartrötlichen Mittagsblumen bedeckte Gräberfeld  ist von einer  Mauer eingefaßt. Hier und da stehen Gruppen niedriger, grausteinerner Kreuze. Ab und zu wächst an den langen geraden Wegen mit breiter Krone ein Schatten spendender Baum. An der dem Meere zugewandten Mauer steht ein hohes hölzernes Kreuz. In immer gleichen Abständen sind flache steinerne Tafeln in den Boden eingelassen, auf denen jeweils zwei Namen mit den dazu gehörenden Geburts- und Todesdaten verzeichnet sind.

 

 

 

 

 

heißt es z.B. auf einem der Steine.

Tausende sind es, die hier begraben liegen, kaum einer älter als 25.

Auf einer weiteren an der Mauer befestigten Metalltafel sind die Namen der 344 Soldaten aufgeschrieben, welche  beim Versuch, Kreta zu Wasser zu erreichen, vor dem Feind blieben und nun in den Tiefen des Meeres begraben liegen. Viele von ihnen wurden ebenfalls vom Feind in unkriegerischer Weise zu Tode gebracht.

 

Wer waren sie, unsere jungen Soldaten von damals? Was haben sie empfunden während ihres harten Kämpfens, dessen Ziel ihnen so viel höher und größer erschienen sein muß als der Erhalt des eigenen Lebens? Trifft auch auf sie zu, was einmal über die in der Ilias geschilderten Kämpfe  um Troja geschrieben worden ist?

 

„Homer läßt keinen Zweifel an der grundsätzlichen Gefährdung, die das Leben schlechthin bedeutet. Gerade in der Gefährdung wird für ihn Leben unmittelbar sichtbar. Die Kämpfe vor Troja werden für ihn nicht wegen des schieren Vergnügens an Krieg, Abenteuer und Heldentum geschildert. Vielmehr sind alle Schilderungen letztlich nur Beispiele dafür, daß alles, was sich mit Wert und Substanz verbindet, Einsatz bis zum letzten erfordert, bis zum Tod.  ...Die obersten Werte, die Realisierung des Menschen in seinen besten Möglichkeiten, das Erhabene, Göttergleiche, Schöne, sind der Bedrohung und der Vernichtung weit stärker ausgeliefert als etwa die Verwirklichung des mediokeren Behagens, das in der neuen Zeit so oft mit dem Glück vergilbter Poesiealben gleichgesetzt wird.“ (Hellmut Diwald, Die Großen Ereignisse, Fünf Jahrtausende Weltgeschichte in Darstellungen und Dokumenten, Lachen am Zürichsee, 1990, 1991, Bd. I, S. 187)

 

Steht man unter dem heißen Himmel Kretas vor den Gräbern unserer besten, so mischt sich in die Trauer um ihr Sterben etwas, welches sich in der Nachbarschaft unserer heutigen Begriffe von Krieg, Kampf, Leben und Tod sehr fremd ausnimmt: Bewunderung und ein Hauch von Neid.

 

 

Hafenmole

 

Am Ende der breiten, weit in das Meer hinausgebauten Hafenmole von Herakleon, der kretischen Hauptstadt, stehen ein schon zu Jahren gekommener Grieche und eine junge Deutsche beisammen.

„Was denken die heutigen Griechen über die Deutschen von damals?“ fragt die Deutsche, fern der Heimat vorübergehend von den ihrem Volke auferlegten Frageverboten entbunden.

„Wir, damit meine ich nicht alle, aber doch manche von uns, denken gut über die Deutschen“, antwortet der Grieche.

 

„Wir haben uns damals von den Engländern gegen die Deutschen aufhetzen lassen. Tausende von unseren Soldaten wurden von den Briten zum Einsatz gegen die Deutschen gezwungen. Wie viele unserer besten sind gefallen. Außerdem wurden  die Fähigkeiten unserer Partisanen  von den Briten  nur benutzt, um die eigenen Leute zu schonen. Die Deutschen dagegen haben wir nicht nur als unsere Gegner, sondern auch als tapfere, anständige Soldaten erlebt. Mein Vater hat einmal drei Deutsche, welche vor den Engländern auf der Flucht  waren, mehrere Tage bei sich versteckt gehalten. Wenn man derzeit auch nicht darüber spricht, glauben Sie es mir: Die Deutschen haben noch viele  Freunde in der Welt. Auch unter uns Griechen.“

 

„Schön, daß Sie das sagen“, entgegnet das Mädchen. Dann  schauen beide, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, stumm über das  Meer, dessen Wellen mit immer gleicher Kraft aufschäumend  gegen die   Hafenmauer schlagen.

 


 

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