Griechische Sommerbilder

 

L a n d

 

 

 

Als die ersten Hellenen vor rund viertausend  Jahren aus dem Norden ins Land kamen, haben sie Land und Inseln duftend, blühend und bewaldet vorgefunden.

Plato erzählt vom alten Attika:

 

Damals erschienen „die Berge wie Erdhügel, die Talgründe ...waren mit fetter Erde bedeckt, und die Berge bekränzten dichte Waldungen....

Auch trug der Boden viele andere, hohe Fruchtbäume und bot den Herden höchst ergiebige Weide; vorzüglich aber gab ihm das im Laufe des Jahres vom Zeus entsandte Wasser Gedeihen.....indem er viel Erde besaß, in sie es aufnahm und es in einer schützenden Tonschicht verteilte, entließ er das von den Höhen eingesogene Wasser in die Talgründe und gewährte allerwärtshin reichliche Bewässerung durch Flüsse und Quellen...“

(Platon, Kritias, 111 c, d)

 

Heute erinnert in Griechenland nur noch sehr Weniges an  das, was einmal war. Zu dem Wenigen gehören Teile der Insel Samos:

 

Wald

 

Aus einem dunklen, feuchtigkeitsgesättigten Talboden der Insel sind hochstämmige, von Efeublättern umschlungene Laubbäume emporgewachsen, meist die uns so vertrauten Eichen und Buchen. In der Höhe sind ihre dichten Wipfel zu einem  Zelt zusammengeschlossen.  um das, was zusammen mit ihnen aufgewachsen ist, vor dem Zugriff des Sengenden zu schützen: Kräuter und Büsche blühen in einer kühl - grünen Dämmerung, in welche der Himmlische nur wenige auf und nieder huschende Funken hinein zu senden vermag. Von den Felswänden herab fließt der Bach, fließt über glattes, schwarz glänzendes Gestein, rauscht unermüdlich durch die bebende Stille. Es ist, als wolle er die zartgliedrige Nymphe an seinen Ufern nicht merken zu lassen, daß in der  Tiefe des Blätterdunkels der bocksfüßige Satyr lauscht, voll von ungeduldigem Verlangen.

 

Wenn dann die tanzenden Grüße und Spiele des Himmelsgottes am Ende eines jeden Tages erloschen sind, wenn die Nymphe endlich das Glühen des Tierfüßigen spürt, dann beginnen die Nachtigallen, die Nachtsänger, ihr langes sehnendes Lied. Es ist ein Lied, welches den Hellenen, als sie einst aus dem Norden hierher kamen, schon immer vertraut war.

 

Tal

 

Von der Höhe der samischen Berge erstreckt sich das Tal hinab zum Meer. In seiner gesamten Länge ist es von Pinien, der langnadeligen Kiefer des Südens, bewachsen. Tief hängen die Zweige zum Boden herab, so daß sich ihre hellen Nadeln mit den roten Blüten des Heidekrauts berühren. In der Ferne verdichten sich die Wipfel der Bäume zu einem schwebenden, nur hier und da von dem  dunklen Umriß einer Zypresse unterbrochenen Leuchten, durch welches die Sommerkräuter ihre duftenden Gaben dem Himmlischen entgegen senden. Von irgendwoher rufen Vögel wie im Traum. Insekten fliegen  herbei und verlieren sich wieder im warmen Glanz. Ganz leise bewegt sich zuweilen in den Wipfeln ein Zweig oder auch ein herab gefallenes Blatt auf dem kühl - feuchten Boden.

 

Zur Rechten steigen  weiße Felsen auf, zunächst von spärlichem Grün bedeckt, in der Höhe kahl und unzugänglich für alles Lebende, an ihren Spitzen vom Lichte durchtränkt, entrückt zu fernen, durchscheinenden Schatten.

Und weit draußen, dort, wo Himmlisches und Irdisches sich im Dunst  verbindet,  liegt weit ausgebreitet,  blau - silbern das alles umschließende Meer.

 

Der, welcher aus dem Norden kommt, kann die golden - warme Steigerung des ihm Vertrauten nicht lange ertragen. Es ist ihm für Augenblicke, als quäle ihn das Bild, welches er nur  zu suchen ausgegangen ist, nicht aber, um es wirklich zu finden. Es ist ihm, als müsse er sich abwenden, zurückkehren in die ihm eigene Dämmerung, um sich weiter nach dem sehnen zu können, was ihm hier vor Augen steht. Es ist  ihm, als sei er nicht fähig, die Gaben der Himmlischen von solcher Nähe zu schauen.

 

Schon zu Platons Zeiten aber erschienen weite Teile des  Landes wie

Knochen des erkrankten Körpers...., indem nach dem Herabschwemmen des fetten und lockeren Bodens nur der hagere Leib des Landes zurückblieb.“ (Kritias, 111 b)

„...viele und mächtige Überschwemmungen...“ (Kritias, 11 a) sollen die Veränderung bewirkt haben. Der Holzbedarf der Hellenen und all derer, die nach ihnen kamen zusammen mit den Freßgewohnheiten der allgegenwärtigen  Ziegen haben noch das Ihrige dazu beigetragen, daß im heutigen Griechenland mit  wenigen  Ausnahmen die Wälder und mit ihnen die Nymphen und Satyre verschwunden sind, die Kräuter verdorrt, die Bäche und Quellen ausgetrocknet.

 

Fast überall in Griechenland zeigen sich Bilder wie diese:

 

Staub

 

 

 

Wieder und wieder wirbelt der Staub auf über dem langen grausteinigen Weg. Hoch   steht der Dunst der trockenen Erde im Himmelsblau und durchtränkt es mit seiner Blässe. Lange kämpft das zitternde Licht, bis es den Staub ganz in sich aufgenommen hat.

 

Das leicht ansteigende Land ist zu Terrassen aufgeschüttet, welche durch niedrige, aus unbehauenen Steinen errichtete Mauern abgestützt werden. Auf den ursprünglich zur landwirtschaftlichen Nutzung bestimmten Flächen aber wächst nichts. Totes Gras liegt auf fahlem Boden. Eingeengt zwischen Dornengewächsen hat ein erschöpfter Feigenbaum seine Blätter abgeworfen. Die kleinen farblosen Hütten hier und da am Rande haben sämtlich ihre Türen verschlossen.

 

Das Summen der wenigen Insekten verrinnt in der stummen Glut. Weit in der Ferne zieht ein Krähenvogel seinen Weg.

 

 

 

 

Hier ist  Helios als der Versengende, als der Verzehrende allein der Herr geblieben. Nichts entgeht mehr seinem glühenden, alles Lebendige verbrennendem Atem.

Weit draußen nur, unerreichbar hinter den graudunstigen Schleiern der Ferne, leuchtet und lockt das kühlende, das heilende, das zartsilbrige Wasser.

 

Dornen

 

Obwohl es unter den zusammen getürmten, scharfkantigen Steinen, welche die Bergeshänge bedecken, so trocken ist wie um die Steine selbst, vermögen hier dennoch Pflanzen zu gedeihen. Immer wieder hat eine Distel die Nahrung für ihre goldenen Filigranblätter wer weiß woher genommen. Die Steine oft gänzlich überdeckend, jeden Winkel, jede Nische für sich einnehmend, wuchert, wohin man schaut, ein untereinander unentwirrbar verzweigtes Dornengestrüpp. Mit braunversengten Blättern,  staubbedeckten Zweigen,  nadelscharfen Spitzen, allein mit unbewegter Form, widersetzt sich die allgegenwärtige Macchia der zehrenden Glut.

 

 

Pinie

 

Doch hoch über den steinigen Stränden steht  immer wieder einmal ein Baum, eine Pinie etwa, welche sich mit ihren alt gewordenen Ästen, mit ihren geschwärzten Nadeln und den  verdorrten Zapfen wie eine dunkle, harte Dolde  dem Licht zuwendet. Die Erinnerung an die Zeit der kühlen Pinienwälder, an die Zeit der Nymphen und Satyre mag solch einem Baum die Kraft geben, seine Wurzeln tief in den steinig trockenen Boden hinein zu senken und so den Glutwellen des Himmels  zu trotzen.

 

 

 

 

 

Lange steht dann solch ein knorriger, fast  zu Stein gehärteter Pinienbaum zwischen den wasserlosen Dornen, läßt das heißströmende Glühen gleichmütig über sich hingehen, bewegt, wie diese Ströme  es wenden, seine  erstorbenen Äste und Zweige und achtet nicht, wer sich  der Köstlichkeit seines Schattens bedient. Mag der einsame Pinienbaum hier oben  all seine Zeit auf das Atmen des Meeres lauschen, welches weit unten an den weißen Ufern seine Wellen bricht, Stunde um Stunde, Tag um Tag, Jahr um Jahr.

 

Nacht

 

Abend für Abend aber, nachdem der Brennende versunken ist, die Lichtstreifen verglüht sind, Abend für Abend schickt das Land sich an, Teil der Nacht zu werden, welche sich aus den Himmeln herabsenkt mit erlösender, samtener Dunkelheit. Abend für Abend steigt die Schwester des Glühenden, steigt Selene über den Horizont empor und berührt das Steinige, das Harte, das Heiße mit ihrer durchscheinenden Hand. Abend für Abend wird all  das Verbrannte der Kühlenden gleich, bewegungslos, silberumglänzt, wie Schatten entrückt in unzugänglicher Ferne.

Und dann beginnt das erloschene Land der Griechen erneut zu atmen. Dann öffnet es wieder seine am Tage wie für immer verschlossenen Tore. Dann schickt das Land seine Ströme aus den tiefen Quellen und erfüllt das weiche Wehen der Nacht mit seinen süßen, betäubenden Düften.

 

 

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